Dienstag, 8. September 2009

Review: Oben

Zu Beginn: Eine kleine Retrospektive von 14 Jahren Pixar

10 - Das ist die Zahl an Filmen, die die Visionäre beim in Emmerville angesiedelten Animationsstudio Pixar vorweißen können. Mit nunmehr 10 Filmen in 14 Jahren haben die Kreativen bei Pixar nicht nur Trickfilmgeschichte, sondern auch Filmgeschichte geschrieben, was vor 14 Jahren noch jeder für unmöglich hielt, als der erste am computer animierte Spielfilm in die Kinos kam: Toy Story.

Als Toy Story in die Kinos kam war Pixar noch völlig unbekannt, Disney hatte ihre glorreichen Neunziger und viele hielten den Film wohl eher für ein bisschen Nerd-Spielerei von Computercracks. Doch trotzdem war der Film nicht unerfolgreich: Er wurde zum erfolgreichsten Film im Jahre 1995 und zu seiner Zeit der dritterfolgreichste Trickfilm nach Disneys Der König der Löwen und Aladdin. Toy Story wurde inzwischen auch in die Top 100 Liste, der besten Filme aller Zeiten des American Film Instituts aufgenommen, wo er auf Platz 99 rangiert - Immerhin noch vor Ben Hur.

Trotzdem halte ich Toy Story für gnadenlos überbewertet: Ich mag zwar die Charaktere und die Idee, doch irgendwie konnte ich mit dem Film und dessen Story immer recht wenig anfangen. Ein Grund, dass er neben Cars der Pixarfilm ist, den ich nicht regelmäßig mal anschaue. Der nächste Film den Pixar herausbrachte war Das große Krabbeln, der auf der Idee des japanischen Films Die Sieben Samurai basiert. Das große Krabbeln war mein persönlicher zweiter Kinofilm, der mir auch heute noch gefällt. Beinahe Zeitgleich mit Das große Krabbeln setzten sich die Pixarianer an das Sequel ihres Erstlingsfilms: Nämlich Toy Story 2, der ursprünglich nur auf DVD (bzw. damals noch VHS) veröffentlicht werden sollte, man aber in der Produktion entschied das ganze doch auf die Kinoleinwand zu bringen.

Doch erst mit ihrem vierten Film schaffte es Pixar nicht nur mich in ihren Bann zu schlagen, sondern auch vom Image "dieses Computerrickfilmstudio" wegzukommen und ihn die ganz große Liga der Hollywoodstudios aufzsteigen. Der Titel dieses 2002 veröffentlichten Films: Die Monster AG. Der Regisseur: Pete Docter, der als erstes Pixar-Mitgründer John Lasseter vom Regiestuhl ablöste. Ein Film, der nicht nur lustig, sondern auch herzerwärmend und äußerst kreativ war. Und von diesem Film an gehörte Pixar zur Königsklasse der Animationsstudios.

Diese Position wurde von nun an immer mehr verstärkt: Als nächstes mit Pixars bisher finaziell erfolgreichstem und wohl auch bekanntesten Films: Findet Nemo. Findet Nemo war das Regiedebut von Andrew Stanton, ein Pixarurgestein, der als zweiter Animator und neunter Mitarbeiter zum Studio kam, bei Toy Story Co-Regie führte und auch an allen vorhergegangenen Drehbüchern der Pixarfilme mitarbeitete. Mit Die Unglaublichen folgte das Pixar-Debut von Brad Bird, der zuvor bei den Simpsons arbeitete und den Film Der Gigant aus dem All drehte und mit seinem tiefgründigen und komplexen Superheldenactioner Neuland bei Pixar betrat (Es war, unter anderem, der erste Pixarfilm in denen Menschen starben und der erste mit einer PG-Freigabe in den USA). Doch irgendwann musste diese großartige Erfolgswelle ja mal einreisen: Und das tat sie mit Cars, der Regie-Rückkehr von John Lasseter, der weder finaziell noch kritisch besonders gut aufgenommen wurde und für mich Pixars schlechtesten Film darstellt.

Dieser Ausrutscher wurde aber durch die beiden folgenden Filme wieder in den Hintergrund gedrängt: Nämlich mit Brad Birds gemütlichem, detailreichen und frankophilen Ratatouille, der für 5 Oscars nominiert war, sowie Andrew Stantons düstere, dreckige und doch romantisch, liebevolle Zukunftsvison WALL•E, der die Krönung von Pixars bisherigen Filmen darstellte. Nach dem kollosal guten WALL•E konnte es ja eigentlich nur wieder steil bergab gehen, doch schon der Titel des nunmehr 10. Streichs des Studios, dass den computeranimierten Film erst möglich machte beweißt das Gegenteil:

Achtung! Die nun folgende Kritik enthällt zwar keine wirklichen Spoiler, aber ein paar Storydetails.

Die Grundstory, die sich hinter Oben verbirgt ist eigentlich recht einfach: Ein alter Mann verwirklicht seinen Lebenstraum und fliegt nach Südamerika, natürlich mit einem lustigen Sidekcik an seiner Seite (In diesem Fall Russel, der überdreht und übergewichtige Pfadfinder) dort trifft er auf einen Schurken. Punkt. Ungefähr das ist es auch, was der Trailer einem zeigt, der den Plotverlauf aber nur sehr leicht angeschnitten hat und dafür sorgt, dass einen die eigentliche Story überrascht. Sowieso gibt der Trailer nicht ganz das wieder, was den Film eigentlich ausmacht: Nämlich das er im Innern tieftraurig ist.

Der Film beginnt mit einer knapp 8 Minütigen Sequenz, die einmal das Leben von Hauptfigur Carl Fredicksen durchleuchtet: Vom Kindesalter bis zum jetzigen Zeitpunkt. Wie er seine Jugendliebe Ellie kennenlernt und sie später heiratet, wie beide Kinder bekommen wollen, aber niedergeschlagen feststellen, dass Ellie dazu nicht in der Lage ist und wie beide zusammen alt werden und ihrem Traum einmal nach Südamerika zu reisen nie verwirklichen können - Bis Ellie stirbt und Carl völlig allein zurückbleibt. Diese Szene geht kaum 10 Minuten und kommt vollkommen ohne Dialog aus ist aber gleichzeitig so schön wie traurig. Die Sequenz geht zu Herz und führt vielleicht auch manche zu Tränen und das vollkommen ohne Kitschig zu sein. Und: Sie übertrifft sogar noch die viel gelobten, ersten 30 Minuten aus WALL•E mit Leichtigkeit.

Nun wird Carl gezeigt, wie er heute lebt: Grießgrämig, allein und den alten Zeiten nachtrauernd, da er diese nicht loslassen kann, was teils daran liegt, dass sein Haus aufgrund von neuen Hochhäusern abgerissen und er in ein Altersheim verlagert werden soll. Doch Carl weigert sich strengstens das Traumhaus von ihm und Ellie einfach aufzugeben. Als er aber einem Bauarbeiter eine blutende (!) Kopfwunde zuführt muss er dem Bauherren kleinbeigeben -- Oder auch nicht, denn am nächsten tag erhebt sich sein Haus, an dem er unzählige Luftballons befestigt hat, in die Lüfte - Südamerika soll das Ziel sein.
Was mit einem kleinen Abgesang auf den "American Dream" endet ist der große Abenteueraspekt des Films, den man so ja schon im Trailer gezeigt hat. Und die Story, die nun beginnt könnte nicht besser sein: Carl und der unfrewillige Passagier Russel stoßen im südamerikanischen dschungel auf den exotischen Vogel Kevin und den schrulligen Hund Dug, der zu allem Überfluss auch noch durch ein hochtechnisiertes Halsband sprechen kann und auf den wahnsinnig gewordenen Forscher und Abenteurer Charles Muntz.

Ein ungewöhnliches Team

Doch der Film wäre kein Film von Pixar, wenn das alles nur in schönen Bildern und mit viel Action gezeigt werden würde. Nein, denn der Film nimmt sich, selbst dann als der Abenteuerplot schon am Rollen ist, immer noch Zeit für seine Charaktere, hat enorm viele ruhige und melancholische Szenen und vernachlässigt nie den Grund, warum Carl eigentlich nach Südamerika gekommen ist - Wegen Ellie. Es wäre aber auch kein Film von Pixar, wenn das ganze unheimlich trocken und zäh erzählt worden wäre und man am liebsten der Actionszene herbeisehnen würde. Das Gegenteil ist sogar der Fall, denn am Schluss meint man, dass der Film ruhig noch 30 Minuten länger hätte sein können. Das liegt zum Großteil auch wieder an den liebenswert, schrulligen Charakteren, die man einfach gern auf der Leinwand agieren sieht und die sich nahtlos in die Reihe der populären Pixarcharaktere wie Buzz, Woody oder WALL•E einreihen. Mit Dug, dem dicken knuffigen Golden Retriver haben die Macher Pete Docter und Bob Peterson (Der dem Hund im Original auch seine Stimme leiht) eine Figur kreirt, die selbst so ultrakultige Charaktere wie Mike und Sully aus der Monster AG oder Dorie aus Findet Nemo mit Leichtigkeit in die Tasche steckt. Das wirklich Wunderbare an Dug (und den anderen Hunden) ist dann, dass man nicht einfach nur einen sprechenden Hund hingestellt hat, sondern eine relativ plausible und vor allem originlle Idee hatte, um Dug sprechen zu lassen. Ein weiteres Beispiel für den unerschöpflich wirkenden Ideenreichtum Pixars.

Das tolle an all den Charakteren ist, dass sie durchweg interessant und kreativ bleiben und einem ans herz wachsen obwohl sie "nur" animiert sind. Allein das Gespann Carl/Russel/Dug/Kevin hat man so noch nie gesehen - Und einen alten Mann zum Actionhelden zu Machen ist sowieso das Tollste an der ganzen Geschichte. Dazu kommt dann noch, dass man sich, wie schon oben gesagt, wirklich Zeit für die Figuren nimmt und aus Russel und vor allem Carl nicht nur ungewöhnliche, sondern auch (mal mehr mal weniger) tiefgründige Helden macht, mit denen man mitfühlen kann. Der bessesene "Captain Ahab"-Charakter Charles Muntz, der wohl als Spiegelbild Carls konzipiert wurde rundet das extravagant, exzellente Ensemble (Ja, ich mag Alliterationen) dann noch ab.

Dass, das ganze nie langweilig wird liegt dann zum anderen auch noch an dem wirklich gelungenen Humor, der sich ziemlich schwer beschreiben lässt. Oben bietet keine wilde Mixtur aus Anarcho- und ruhigem Humor, wie in den Filmen von Brad Bird und keinen altmodische Stummfilm-Slapstick wie in WALL•E. Am ehesten lässt sich der Humor mit Toy Story oder Findet Nemo vergleichen, da er sehr Charakterbezogen ist und meistens durch die verschiedenen charakteristischen Eigenschaften der Figuren herauskommt: Sei es die Überdrehtheit von Russel, die Grießgrämigkeit von Carl oder die treudoof, putzigen sachen bei Dug und Kevin. Hin und wieder gibt es natürlich auch etwas Klamauk und Slapstick - das ist aber wirklich rar gesäht.

Eine melancholische und traurige, aber doch heitere und abenteuerliche Reise!

Auch wenn insgesamt ordentlich Humor vorhanden ist, sollte man kein großartiges Gagfeuerwerk erwarten und sioch auch auf viele melancholische, ruhige und traurige Szenen einstellen, die aber wirklich extrem gut in den Film und den Abenteuerplot integriert wurden und niemals überflüssig oder störend erscheinen - Sie sind nämlich der eigentliche Motor des Films, der die Story und die Charakterentwicklung fördert.
Auch auf viel Action muss man verzichten, auch wenn man Oben als actionreichsten Pixarfilm nach Die Unglaublichen einordnen kann. Wirklich actionreich wird es aber nur kurz in der Mitte und etwas mehr gegen Ende im rasanten Showdown. Schade ist, dass diese Actionszenen aber nie wirklich großartig wirken und in Sachen Rasanz nicht mit den Unglaublichen mithalten kann. Ein kleiner Augenschmaus ist das Finale aber schon geworden. - Natürlich könnte jetzt die Frage aufkommen: "Kein Gagfeuerwerk, wenig Action - Was hat der Film denn dann?" - "Die Mischung machts!" wäre die passende Antwort. Ruhige und leise Szenen dominieren den Film, später dann auch immer mehr Humor und gegen Ende dann die Action verpackt in einer abenteuerlichen und unkonventionellen Story: Eine Abenteuertragikomöide sozusagen - Und eine ganz wunderbare, mal so nebenbei.

Musikalisch untermalt wird dieser liebevoll gemachte Genremix vom Soundtrack von Michael Giacchino, der sich auch schon für die Scores von Die Unglaublichen und Ratatouille verantwortlich zeigte und für letzteren auch eien Oscarnominierung einsackte. Wie schon bei seinen vorherigen Pixarscores setzt Giacchino hier auch mal wieder auf eins: Old-School. Elektronische oder moderne Klänge sind gar nicht herauszuhören und insgesamt ist das ganze wunderbar altmodisch mit vielen Bläsereinlagen und biette einen tollen Gegenpol zum futuristischen WALL•E-Soundtrack von Thomas Newman und diesen auch übertrifft (Aber dann auch wieder nicht ganz so genial ist wie der von Rataotuille).
Das wirklich tolle an der Musik ist dann noch, dass sie den Film stilistisch perfekt wiederspiegelt: Nämlich mit der ganz klaren Orientierung an Cartoons aus den 30er und 40er Jahren. Der einzige, kleine, Nachteil von Giacchinos Musik ist, dass sie im Gegensatz zu Die Unglaublichen, Ratatouille oder auch Star Trek, um mal ein neueres und nicht mit Pixar in Verbindung stehendes Beispiel zu haben (:D), bei den actionreicheren Stücken etwas lieblos komponiert klingt, was aber durch den wirklich schwer genialen Rest und das Ohrwurm-Main Theme wieder wet gemacht wird.

Der wohl letzte Punkt, auf den man eingehen sollte ist die stilistische Präsentation von Oben, die man wohl recht wenig mit den anderen Filmen von Pixar vergleichen kann. Es gibt zum Beispiel keinen völligen Cartoon-Style wie bei den Unglaublichen oder Die Monster AG, aber auch keinen puren Photorealismus wie bei WALL•E. Oben ist eher eine Mischung aus beidem: Während die meisten Charaktere völlige Karikaturen sind und durch geometrische Formen inspiriert sind (Carl ist ein Rechteck, Russel und Dug Ovale und Kevin ein Dreieck) sind die malerischen Landschaften absolut realistisch gehalten und mit das ganz große Highlight des Films (was sich vor allem in den Flug-Und dschungelszenen wiederspiegelt) sind und Pixars künstlerische als auch technische Perfektion mal wieder aussagekräftig unter Beweiß stellt. Auch die, wieder realistisch gehaltenere, Hundearmee ist ein technisches, optisches und kreatives Highlight des Films, das sich so wirklich gut sehen lassen kann.

"Ich habe den Film zwar gerade erst gesehen, habe ihn aber jetzt schon unheimlich lieb!"

Schlussendlich drängt sich ein Vergleich mit den vorhergegangenen Pixarfilmen, insbesondere natürlich WALL•E, auf. darauf gibt es aber auch eine ganz klare Antwort: Nein, Oben ist nicht so gut wie Andrew Stantons düster, romantisches Kinohighlight WALL•E, er ist auch nicht so gut wie Brad Birds gemütliche Liebeserklärung an das Kochen, Ratatouille, aber er stellt auch überhaupt keinen Dämpfer wie Cars dar. Oben ist nicht gänzlich perfekt, aber seine unzähligen positiven Aspekte, die ganz klar überwiegen machen den Film zu einem der besten, als auch reifsten Filme, die Pixar jeh gemacht hat. Deshalb kann man eigentlich nur apllaudieren und sagen: "Hut ab, Pixar ihr habt es mal wieder geschafft!".

Weitere Animations-Reviews:
Weitere Filmreviews 2009:

Keine Kommentare: